Übergriffe im Tattoo-Studio: Wenn der Tätowierer zu weit geht
Tätowiert zu werden, ist eine sehr intime Sache. Oft stecken hinter Tattoos emotionale Geschichten, die KundInnen ihren TätowiererInnen anvertrauen. Man verbringt viel Zeit miteinander und beim Tätowieren selbst besteht (enger) Körperkontakt, manchmal über ganze Nachmittage, die man zusammen im Tattoo-Studio verbringt.
Kurzum: Die Kundschaft begibt sich für ihr Traumtattoo vertrauensvoll in die Hände der TattookünstlerInnen – fast ein wenig, wie wenn jemand zu einem Arzttermin geht.
Und darf im Gegenzug erwarten können, dass der Prozess des Tätowiert werden komplett professionell, neutral und vertrauensvoll abläuft – wie beim Doktor auch.
Schwarze Schafe
Das ist leider nicht überall der Fall. Bedauerlicherweise nehmen das nicht alle Tattoostudios und Künstler so ernst. Uns kommen von unseren Kundinnen, ausnahmslos weiblich, oft unschöne Geschichten zu Ohren. Tätowierer, ausnahmslos männlich, die sich übergriffig und unprofessionell verhalten. Die ihre Machtposition und die Unwissenheit der Kundschaft ausnutzen.
Das muss, respektive darf, nicht sein! Wir möchten dir ein paar Beispiele nennen, die absolut unprofessionell sind – und bei denen du dich wehren darfst.
Alles, was wir hier schildern, sind reale Beispiele, die uns von unseren Kundinnen zugetragen wurden und ihnen passiert sind. Wir haben uns deswegen bewusst dazu entschieden, im Fall der Opfer die weibliche Form und im Fall der Täter die männliche Form zu verwenden.
Das Ausziehen
Klar, um tätowiert zu werden, muss man sich “frei machen”. Man kann ja schlecht durch die Kleidung tätowieren.
Aber: Alles in Massen, bitte. Es gibt keinen Grund, im BH dazusitzen, wenn du am Oberarm tätowiert wirst. Oder noch schlimmer: Komplett oben ohne, wenn deine Rippen verziert werden. Hier reicht es zum Beispiel, wenn du deinen BH öffnest und zur Seite schiebst.
Lass dir nichts einreden, wobei du dich unwohl fühlst!
Tipps:
Klebestreifen: Hat dein Tätowierer “Angst”, dass sich ein Kleidungsstück selbstständig macht, dann klebt es fest.
Überleg dir vor deinem Termin, was du anziehen kannst, damit deine Kleidung beim Tätowieren nicht stört. Wirst du am Bein tätowiert, kannst du eine kurze Hose mitnehmen. Ein ärmelloses Shirt für den Oberarm, etwas Lockeres, dass du dir über die Brust oder den Po legen kannst, falls dort ein “frei machen” nötig ist. Auch ein Badetuch oder einen grossen Schal darfst du mitbringen, um dich damit zu bedecken.
Sprich an, falls du dich unwohl fühlst!
Das Fotografieren
Ist ein Tattoo fertig, möchte dein/e TätowiererIn es natürlich fotografieren: Für das Portfolio oder noch wahrscheinlicher für Social Media. Kein Problem!
Aber auch hier: Es gibt keinen Grund, wieso hauptsächlich dein Ausschnitt zu sehen sein muss, wenn es um ein Tattoo auf deinem Arm geht. Wenn du eine sexy Pose einnehmen sollst und dich dabei unwohl fühlst, darfst du das selbstverständlich ablehnen.
Tipps:
Lass dir das Foto zeigen. Bist du mit dem Bild nicht einverstanden, bestehe darauf, es neu aufzunehmen.
Decke empfindliche Partien ab. Mit Kleidung oder deinen Händen. Das darfst du selbstverständlich!
Fühlst du dich unwohl oder traust dich nicht, dann lass dich erst gar nicht fotografieren! Du bezahlst für dein Tattoo und wenn du nicht möchtest, dass es irgendwo gezeigt wird, ist das für die Künstler zwar schade, aber dein Recht! Du bist nicht dazu verpflichtet!
Das Anbaggern
Stell dir vor, du sitzt bei deinem Frauenarzt und der sagt dir, wie schön deine Augen sind. Oder er fragt dich, ob ihr nach der Behandlung einen Kaffee trinken gehen wollt. Wie wäre es, wenn ihr die nächste Behandlung bei ihm zu Hause abhaltet, weil er sich dort eine kleine Privatpraxis eingerichtet hat? Das ist dann auch günstiger für dich.
Hört sich völlig deplatziert an? Ja! Und genauso unpassend ist es, wenn dein Tätowierer dich anmacht oder derartiges vorschlägt.
Wir hören von unseren Kundinnen ständig, dass sie sich nicht getraut haben, etwas zu sagen, weil “Ich kann ja nicht mitten beim Tätowieren aufstehen und gehen.” Oder “Ich wollte ja, dass mein Tatttoo schön wird und wollte ihn nicht vor den Kopf stossen.”
Dein Tätowierer weiss das. Er nützt hier einfach seine Machtposition aus und sein Verhalten ist völlig unprofessionell.
Tipps:
Sag nein! Du darfst ganz offen sagen, dass du kein Interesse hast. Traust du dich das nicht, dann kannst du einen Freund oder Ehemann erfinden.
Bring eine Begleitperson mit. Die Hemmschwelle ist eventuell grösser, wenn ihr nicht allein seid. Darf die Person nicht mit rein (das gibt es), dann hilft es bereits, wenn du weisst, die Person sitzt draussen vor der Tür. Du kannst sie reinrufen, wenn es dir zu viel ist.
Fühlst du dich unwohl, brich ab. Wir können das nicht oft genug sagen: Du musst gar nichts über dich ergehen lassen. Keine Anzahlung und kein Tattoo der Welt ist es das Wert.
Deine Privatsphäre
In den meisten Fällen füllst du bei der Terminvereinbarung ein Formular aus und hinterlässt dort deine Nummer und/oder E-Mail-Adresse. Der Tätowierer ist zu Datenschutz verpflichtet. Das heisst, deine Daten sind geheim und nicht an Dritte herauszugeben.
Genauso ist es nicht okay, wenn er dir abends nach dem Termin privat schreibt, weil es so schön war.
Versteht uns nicht falsch: Nett sein ist kein Problem! Aber auch hier ist die Balance zwischen Freundlichkeit und Übergriffigkeit ein schmaler Grat.
Auch während des Tätowierens hast du ein Recht auf Privatsphäre. Es gibt selten einen triftigen Grund, warum Shopmanager, Arbeitskollegen und erst nicht andere Kunden, während der Tattoosession ständig reinspazieren müssen, um zu sehen, wie es vorangeht. Vor allem nicht, wenn du halb nackt da liegen musst.
Tipps:
Bestehe auf einen abgeschirmten Platz, wenn du dich an einer exponierten Stelle tätowieren lässt. Wir im Living Dead-Studio hängen immer Vorhänge auf, damit unsere Kundinnen sich nicht ausgestellt fühlen müssen. Es gibt immer Möglichkeiten.
Bitte darum nicht gestört zu werden. Wenn du es nicht direkt ansprechen willst, kannst du beispielsweise sagen, es störe deine Konzentration.
Bitte darum, dich in Ruhe umziehen zu dürfen. Hast du Kleidung zum Wechseln mitgebracht, braucht es keine Zuschauer, während du sie anziehst. Geh aufs Klo oder bitte um einen geschlossenen Raum.
Grundsätzlich gilt: Das Tätowiert werden ist eine Dienstleistung, die du kaufst. Du hast (wie immer!) das Recht respektvoll und korrekt behandelt zu werden und musst zu keinem Zeitpunkt irgendetwas „erdulden“, was du nicht willst.
Ausser die Schmerzen beim Stechen vielleicht – die lassen sich nicht umgehen.
Fühlst du dich unwohl, dann vertraue auf dein Bauchgefühl und such dir ein anderes Studio. Es gibt genug andere und professionelle Tätowierer, die sich über Kundschaft freuen.